Sorgfaltspflicht des Beifahrers beim (Ein- und) Aussteigen des Autos
Das Landgericht Köln hat in seiner Entscheidung vom 08.10.2020 – Az. 14 O 309/19 – über eine Schadensersatzklage in Bezug auf die Sorgfaltspflicht des Beifahrers beim (Ein- und) Aussteigen entschieden.
Tatbestand (Unfall)
Die Kläger machen Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis vom 08.09.2019 geltend. Der Kläger zu 2) führte das Taxi am 08.09.2019, in dem die Beklagte als Fahrgast mitfuhr. Gegen 11:53 Uhr hielt der Kläger zu 2) das Taxi auf dem Bahnhofsvorplatz im Bereich der Taxiparkfläche vor dem Hauptbahnhof an, um die Beklagte aussteigen zu lassen. Dabei befand sich in Fahrtrichtung gesehen auf der rechten Seite ein Taxistand, wo Taxen. darauf warteten, neue Fahrgäste aufzunehmen und entsprechend nach vorne zu ziehen. Links daneben befand sich — mittig — die Fahrspur und auf der linken Seite in Fahrtrichtung gesehen befand sich ein Polizeistreifen, auf dem Polizeifahrzeuge halten können. Der Polizeistreifen war zum Unfallzeitpunkt in dem Bereich, in dem der Kläger zu 2) das Taxi anhielt, frei. Der Kläger zu 2) hielt das Taxi auf der linken Seite an, sodass es halb auf dem Polizeistreifen und halb auf der Fahrspur stand.
Die Beklagte, die auf dem hinteren rechten Sitzplatz gesessen hatte, öffnete die hintere rechte Tür des Fahrzeugs, um auszusteigen. Dabei kam es zur Kollision mit dem sich von hinten nähernden Taxi der Streitverkündeten, das auf der zwischen Taxistand und Polizeistreifen liegenden Fahrspur an dem von dem Kläger zu 2) gesteuerten Taxi vorbeifahren wollte und in die von der Beklagten geöffnete hintere rechte Seitentür hineinfuhr. Wegen der Unfallörtlichkeit und auch wegen des Endstandes der beteiligten Taxis wird auf die Anlagen K9 (Bl.192 der Akte) sowie K 10 (Bl. 133 der Akte) sowie die Unfallskizze, der Beklagten (Anlage B2, Bl. 58 der Akte) Bezuggenommen.
An dem einen Taxi entstand ein Fahrzeugschaden in Höhe von 5372,86 EUR. Der von den Klägern mit der Schadensfeststellung beauftragte Gutachter stellte eine Wertminderung in Höhe von 620,00 EUR fest und berechnete für sein Gutachten den Klägern 735,75 EUR.
Die Kläger forderten die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 18.09.2019 (Anlage K4, S.’36 der Akte) sowie unter Fristsetzung zum 15.10.2019 mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 08.10.2019 (Anlage K5, Bl. 38 der Akte) zum Ausgleich der mit der Klage geltend gemachten Schäden auf.
Die Kläger behaupten, sie seien: als Halter des Taxis aktivlegitimiert. Sie legen dazu den Fahrzeugschein (Anlage K6, Bl. 93 der Akte) sowie die Finanzierungsbestätigung von Mercedes-Benz (Anlage K7, Bl. 95 der Akte) und die Vertragsbedingungen zum Finanzierungsvertrag der MB Bank (Anlage K8, Bl. 97 der Akte) vor und verweisen darauf, dass sie ausweislich von Nr. III der Darlehensbedingungen verpflichtet sind, alle fahrzeugbezogenen Ansprüche aus einem Schadenfall im eigenen Namen und auf eigene Kosten geltend zu machen. Die Kläger behaupten ferner, dass der Kläger zu 2) die Beklagte beim Anhalten darauf hingewiesen habe, beim Öffnen der Türe aufzupassen.
Die Beklagte behauptet, sie habe die hintere Tür behutsam einen Spalt geöffnet, um auszusteigen. In dem Moment sei das andere Taxi angefahren gekommen und habe das stehende Klägerfahrzeug ohne Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandespassiert. Die Beklagte habe ein anderes Fahrzeug, dass das Klägerfahrzeug habe passieren wollen, nicht gesehen. Das Unfallgeschehen sei durch den zu geringen Sicherheitsabstand des vorbeifahrenden Taxis verursacht worden. Hätte das andere Taxi einen hinreichenden Sicherheitsabstand zum stehenden Klägerfahrzeug eingehalten, hätte sich das streitgegenständliche Schadensereignis nicht zugetragen. Außerdem habe der Kläger zu 2) seine Fürsorgepflicht verletzt und die Beklagte nicht vor etwaigen Gefahren beim Aussteigen gewarnt und sei ihr auch nicht behilflich gewesen.
Die Aktivlegitimation der Kläger werde bestritten, da sich nicht ergebe, wer tatsächlich Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs gewesen sei.
Das Gericht hat den Kläger zu 2) und die Beklagte informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 27.08.2020 (Blatt 134 ff. der Akten) Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze und die von den Parteien vorgelegten Unterlagen und Schriftstücke Bezug genommen.
Entscheidung (Schadensersatz)
Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet.
1. Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 14 StVO in Höhe von 6753,61 EUR zu.
a) Zunächst sind die Kläger aktivlegitimiert. Dies ergibt sich aus den von ihnen vorgelegten Unterlagen. Denn nach den Finanzierungsbedingungen durch die MB Bank und der dortigen Ziff. III ist der Darlehensnehmer verpflichtet, alle fahrzeugbezogenen Ansprüche aus einem Schadenfall im eigenen Namen und auf eigene Kosten geltend zu machen. Auf die Frage des Eigentums kommt es deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an. Denn selbst wenn die finanzierende Bank das Sicherungseigentum erworben haben sollte, war nach den Darlehensbedingungen die Klägerseite zur Geltendmachung der vorliegenden Schäden im eigenen Namen verpflichtet und berechtigt. Dieser vertraglichen Verpflichtung und Berechtigung stünde auch eine weitere Übertragung des Sicherungseigentums an Dritte durch die finanzierende Bank nicht entgegen, wobei sich dafür allerdings keinerlei Anhaltspunkte ergeben.
b) § 14 StVO ist Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (vergleiche Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020 Rn. 1, StVO § 14 Rn. 1 mit weiteren Nachweisen).
c) Die Beklagte hat schuldhaft gegen ihre Pflicht aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen. Nach § 14 Abs. 1 StVO muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. OLG Köln, Urteil vom 07. November 2019 – 1-15 U 113/19 -, Rn. 13, juris, mit weiteren Nachweisen). Dabei spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen, der in ein Fahrzeug ein- oder ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ein- bzw. Aussteigen ereignet hat einer — wie im vorliegenden Fall — erkennbar gefährlichen Ausstiegssituation nicht zuur Vorsicht ermahnen; zu einem solchen Hinweis ist er grundsätzlich rechtlich nicht verpflichtet; vielmehr ist die Beklagte in erster Linie allein für ihr Verhalten im Straßenverkehr verantwortlich (vergleiche OLG Köln, Urteil vom 07. November – 1-15 U 113/19 -, Rn. 15, juris).
d) Es liegt auch keine besondere Situation vor, die ausnahmsweise ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB durch das Verhalten des Klägers zu 2) begründen könnte. Dies ergibt sich zunächst nicht daraus, dass der Kläger zu 2) halb auf dem Polizeistreifen und halb auf der Fahrspur neben dem Taxistand gehalten hatte und so die Beklagte zur rechten Seite hin aussteigen musste. Denn sowohl nach der Darstellung des Klägers zu 2) als auch nach der Darstellung der Beklagten jeweils in ihrer persönlichen Anhörung war es so, dass jedenfalls links hinten ein weiterer Fahrgast gesessen hat, sodass eine Aufforderung des Klägers zu 2), die Beklagte möge auf der linken Seite Aussteigen, ausscheidet. Ferner haben beide Parteien übereinstimmend bekundet, dass die Beklagte das Entgelt für die Taxifahrt bei dem Kläger zu 2) gezahlt hat und dann, als sie von diesem das Wechselgeld erhalten hatte, ausgestiegen sei, ohne dass es eine zeitliche Verzögerung gegeben habe. Damit fehlt es schon an einer Reaktionsmöglichkeit des Klägers zu 2). Dass er sie nicht während des Bezahlvorgangs bzw. bei Aushändigung des Wechselgeldes gebeten hat, zu warten, um ihr die Tür öffnen zu können, gehört nicht zu seiner Verpflichtung (vergleiche zu dieserWertung OLG Köln a.a.O.).
Schließlich ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass nach dem – bestrittenen – Vorbringen der Beklagten das andere Taxi der Streitverkündeten mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und dadurch den Unfall (mit) verursacht hätte. Im Verhältnis zu den Klägern kommt es auf ein Verschulden der mit den Klägern nicht verbundenen Streithelfern bzw. Streitverkündeten nicht an.
e) Der Schaden ist der Höhe nach unstreitig und ist mit dem Fahrzeugschaden in Höhe von 5372,86 EUR sowie der Wertminderung des Fahrzeugs von 620,00 EUR und der Kosten für das von den Klägern in Auftrag gegebene Gutachten in Höhe von 735,75 EUR zu erstatten. Hinzu kommt die Kostenpauschale von 25,00 EUR. Weshalb die Unfallkostenpauschale den Betrag von 25,00 EUR um 0,56 EUR übersteigen sollte, ist weder vorgetragen noch erkennbar, sodass insoweit die Klage abzuweisen war.
(vergleiche Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVO § 14 Rn. 2a mit weiteren Nachweisen).
Da sich der Unfall in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrzeugtür durch die Beklagte ereignet hat, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass die Beklagte ihre Pflicht aus § 14 Abs. 1 StVO verletzt hat. Dieser Anschein ist von der Beklagten nicht erschüttert worden. Denn auch nach ihrer eigenen Darstellung hat die Beklagte sich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Vielmehr hat sie im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung selbst ausgeführt, dass sie das andere Taxi gar nicht gesehen, sondern erst wahrgenommen habe, als es zum Unfall gekommen sei. Sie habe auch keinen Schulterblick nach hinten rechts gemacht, bevor sie die Tür geöffnet habe, weil sie gar nicht damit gerechnet habe, dass noch ein anderes Fahrzeug hätte vorbeifahren können. Dies hätte sie jedoch in Anbetracht der Fahrspur zwischen Taxistand und Polizeistreifen, auf die sie nach rechts aussteigen wollte, machen müssen und hätte sich deshalb zunächst davon überzeugen müssen, dass kein weiteres Taxi von hinten herannahte, bevor sie die Tür geöffnet hat. Dann hätte sie auch das von hinten herannahende andere Taxi erkannt. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten war auch das Öffnen der Tür unfallursächlich, wie sich unschwer aus dem Lichtbild von der Endstellung der Fahrzeuge nach dem Unfallereignis zeigt (Anlage K9). Bei ungeöffneter Tür am Fahrzeug der Kläger hätte das auf der linken Seite erkennbare Taxi ohne weiteres das Taxi der Kläger passieren können. Aus der Örtlichkeit und den dortigen Umständen ergibt sich ferner, dass die Beklagte bei einem Schulterblick nach hinten rechts das herannahende Taxi hätte erkennen können. Insbesondere ergeben sich aus dem Lichtbild aus der Anlage K9 auch uneingeschränkte Sichtverhältnisse zum Unfallzeitpunkt. Damit steht ein mindestens fahrlässiger Sorgfaltsverstoß der Beklagten fest, nicht zuletzt auch deshalb, weil für die Beklagte klar erkennbar war, dass sie nach rechts in Richtung des Fahrstreifens die Tür zum Aussteigen öffnen musste.
Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus dem Verhalten des Klägers zu 2). Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, dass dieser sie nicht darauf hingewiesen habe, beim Aussteigen vorsichtig zu sein bzw. dass dieser ihr nicht die Tür geöffnet habe. Denn ein Taxifahrer muss seinen Fahrgast auch bei
2. Die Beklagte hat den Klägern ferner die vorgerichtlichen notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 546,50 EUR, wie von den Klägern geltend gemachten zu erstatten.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
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