VG Köln: Asyl für Syrische Christen
Mit Urteil vom 20. Februar 2014 – Az. 20 K 2258/13.A – hat die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln syrischen Flüchtlingen, die christlicher Religionszugehörigkeit sind (Christen), als Asylberechtigte anerkannt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Sachverhalt:
(Asyl)
Die Kläger, ein christliches Ehepaar aus Syrien reiste am 23. August 2012 mit einem gültigen Visum auf dem Luftweg von Istanbul nach Köln/Bonn in die Bundesrepublik ein und stellte am 31. Oktober 2012 einen Asylantrag.
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 18. Februar 2013 erklärte der Kläger, die Situation in Syrien sei ohnehin schwer genug. Zusätzlich habe er Anfang Juli 2012 einen Anruf erhalten, in dem er erpresst worden sei, innerhalb einer Woche eine Million syrische Lira zur Unterstützung des Befreiungskampfes zu bezahlen. Andernfalls würde man ihn umbringen. Er habe mit seiner Frau die ganze Nacht wach gelegen und sich große Sorgen gemacht. Innerhalb von zwei oder drei Tagen hätten sie sich dann zunächst nach Aleppo zu ihrer Tochter begeben. Mit Hilfe ihrer Söhne, die in der Bundesrepublik lebten, sei es ihnen dann gelungen, ein Visum für die Bundesrepublik zu erhalten.
Ganz allgemein würden Christen in Syrien in der gegenwärtigen Situation missachtet und beleidigt. Die Salafisten und Al Nasra, früher Al Kaida, behandelten sie sehr schlecht. Die Gräber der Christen seien bereits mit Beschriftungen und Zerstörungen geschändet worden. Auch die Klägerin wies im Rahmen ihrer Anhörung u.a. auf die schlechte Situation der Christen hin.
– Ablehnungsbescheid –
(Asyl)
Mit Bescheid vom 12.03.2013 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen. Zugleich wurde festgestellt, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syrien vorliegt. Der Bescheid wurde am 20. März 2103 als Einschreiben zur Post gegeben.
Am 02. April 2013 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung vertiefen sie ihre Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt und weisen insbesondere auf eine Verfolgung der Christen in Syrien hin. Der Kläger sei bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2005 Lehrer an der Fachhochschule gewesen. Die Klägerin sei zuletzt Konrektorin einer Schule gewesen bis sie 2012 auf eigenen Wunsch in Frühpension gegangen sei wegen der ständigen Gefahren durch Kämpfe und Überfälle auf dem Weg zur Schule bzw. nach Hause. Beide Kläger seien ehrenamtlich als Lehrer einer christlichen Schule in Idlib tätig gewesen und Mitglieder eines dortigen Kulturzentrums sowie Mitglieder eines Gemeinderates einer christliche Kirche gewesen. In Idlib hätten die Oppositionellen die Macht übernommen, Schutz vor Verfolgung gebe es dort für Christen nicht.
Die Kläger beantragen, die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des Bescheides vom 12. März 2013 zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
(…)
Entscheidungsgründe:
(Asyl für Syrische Christen)
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 12. März 2013 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 3 AsylVfG idF der Änderung vom 28.08.2013 (BGBl v. 28.08.2013 ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ovm 28. Juli 1951 – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich
1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.) außerhalb des Landes befindet
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteueren regeln nunmehr die §§ 3a-d AsylVfG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95EU des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes
(ABl. L 337.vom 20.12.2011, S. 9-26).
Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich der Kläger die Voraussetzungen des § 3 AsylVfG vor.
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist sind. Allerdings glaubt das Gericht den Klägern, wenn sie vortragen, sie seien unter Morddrohungen erpresst worden, 1 Mio. syrische Lira für den „Befreiungskampf“ zu zahlen und hätten sich aus Angst entschlossen, Syrien zu verlassen. Ob die Kläger aber schon vor der Ausreise im August 2012 wegen dieser Bedrohung den Schutz des syrischen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen konnten, bedürfte gegegebenenfalls näherer Aufklärung. Diese kann vorliegend indes unterbleiben, da das Gericht auch unabhängig davon überzeugt ist, dass die Furcht der Kläger vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien und der Asylantragstellung sowie des langjährigen Aufenthalts im westlichen Ausland nächster Angehöriger und ihres eigenen bereits lang andauendern Aufenthalts im westlichen Ausland begründet ist.
Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urt. vom 14. Februar 2012, 14 A 2708/10.A – Juris: Bundesamt für Migration u. Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Indentitätspapiere, Asyl-Link-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
Diese Einschätzung liegt auch der Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG für die Kläger durch den hier – teilweise – im Übrigen noch streitigen Bescheid zugrunde.
Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. vom 18.07.2012 – 3L 147/12
Die Gefährdung der Kläger knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihnen vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
vgl. hierzu u.a.: VGH BW, Beschlüsse vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 – und vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 -; a.A. OVG NRW, Urt. vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A – sowie Bechlüsse vom 07. Mai 2013 – 14 A 1008/13.A – und vom 27. juni 2013 – 14 A 1517/13.A -.
Das Gericht ist im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung auch davon überzeugt, dass die Kläger nunmehr im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen durch nichtstaatliche Akteure in Anknüpfung an ihre christliche Religionszugehörigkeit ausgesetzt wären, ohne dass sie hiervor Schutz erhalten könnten (§ 3 d AsylVfG).
Mit zunehmender Eskalation der gewalttätigen Auseinandersetzung in Syrien geraten auch Minderheiten, darunter Christen, vermehrt zwischen die Fronten und sind zahlreichen Übergriffen in Form von Anschlägen bzw. Attentaten, Entführungen und vertreibungen ausgesetzt. Neben politischen Motiven, wonach die Christen als vermeintliche Anhänger des Assad-Regimes ins Visier der Aufständischen geraten, beruhen die Verfolgungsmaßnahmen auch auf konfessionellen Motiven.
Vgl. Informationszentrum Asyl und Migration, Syrien, Aktuelle Situation der Christen, Juni 2013; statt vieler Zeitungsberichte: Frankfurter Allgemeine, Weihnacht ohne Hoffnung“, 23.12.2013.
Nach Auffassung des UNHCR gehören Christen inzwischen zu den besonders gefährdeten Personengruppen,
vgl. UNHCR, International Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic, Update II, Oktober 2013
Diese allgemeine Gefährdungslage der Christen hat sich bezogen auf die Kläger auch vor ihrer Ausreise bereits konkretisiert, da sie unter Morddrohungen zur finanziellen Unterstützung von Aufständischen gezwungen werden sollten. Die Kläger waren zudem aufgrund ihrer langjährigen Arbeit im örtlichen Kirchengemeinderat und in der örtlichen christlichen Schule in besonderer Weise exponiert. Schutz durch das syrische Regime vor derartigen Übergriffen können die Kläger unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr erlangen. Zum einen kämpft das syrische Regime mit allen Mitteln um sein eigenes Überleben und das Gewaltmonopol des syrischen Staates ist jedenfalls regional – auch bezogen auf die Region um Idlib und Aleppo – erheblich eingeschränkt. Zum anderen können die Kläger nunmehr aber auch infolge der Asylantragstellung und Flucht ins westliche Ausland, die die sie selber ins Visier der Sicherheitskräfte gerückt haben, den Schutz des syrischen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen.
Aus den vorstehenden Gründen erweist sich die Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ebenfalls als rechtswidrig und haben die Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG Ausschlusssgründe nach §§ 25,a 27 AsylVfG liegen insoweit nicht vor, da die Kläger mit einem gültigen Visum von Instanbul aus auf dem Luftweg in die Bundesrepublik gereist sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
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